Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD
Am 7. Februar haben sich CDU, CSU und SPD nach langwierigen Verhandlungen auf den Text des Koalitionsvertrages geeinigt. Auf fast 200 Seiten werden die Aufgaben der Regierung für die nächsten vier Jahre beschrieben, darunter die Fortsetzung einer Reform der Eurozone und der gemeinsamen und mehrfachen Aufgabenteilung in der EU im Bereich der Asylpolitik, die Einführung einer Jahresgrenze von 180.000-220.000 aufgenommenen Flüchtlingen, die Erhöhung der inneren Sicherheit durch die Einstellung von 7.500 zusätzlichen Polizeibeamten und Dienststellen sowie die Entwicklung einheitlicher Verfahren für den Umgang mit potenziellen Terroristen, die für alle Bundes- und Landesdienste gelten sollen. Darüber hinaus soll der Solidaritätszuschlag (gezahlt zur Deckung der Kosten der deutschen Wiedervereinigung) abgeschafft werden.
Die Koalitionspartner wollen weiterhin eine Politik der nachhaltigen Finanzausgaben verfolgen und Steuererleichterungen in Höhe von 10 Milliarden Euro vorsehen. Bis 2021 sollen die Bundesländer 8 Milliarden Euro für den Unterhalt von Migranten erhalten. Im Bereich des Klimaschutzes haben potenzielle Koalitionspartner das Ziel, die Treibhausgase bis 2020 gegenüber 1990 um 40% zu reduzieren, aufgegeben, aber ihre Absicht bekräftigt, die Ziele der europäischen Klimapolitik umzusetzen. Die Energieumwandlung soll weitergehen; bis 2030 soll der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung auf 65 % (33 % im Jahr 2017) steigen.
Die Aufteilung der Ressorts der Ministerien soll wie folgt aussehen: CDU – Verteidigungs-, Wirtschafts-, Bildungs-, Gesundheits- und Landwirtschaftsministerium sowie Regierungsbevollmächtigte für Kultur und Medien, Migration und Flüchtlinge, SPD – Außenministerium (Martin Schulz), Finanzministerium (Olaf Scholz, jetzt Bürgermeister von Hamburg, der auch stellvertretender Kanzler werden soll), Arbeits- und Sozialhilfe, Justiz, Familie und Umweltschutz; CSU – Innenministerium (Horst Seehofer, Chef der CSU), Ministerien für Verkehr und Entwicklungshilfe.
Die Bildung einer großen Koalition ist noch nicht selbstverständlich. In den naechsten 3-4 Wochen wird unter rund 460.000 SPD-Mitgliedern per Briefwahl ueber die Zustimmung oder Ablehnung des Koalitionsvertrages abgestimmt. Seit Anfang 2018 kämpft die sozialdemokratische Jugendbewegung gegen die Wiederbestellung der CDU/CSU-Regierung und ruft zum Parteizugehörigkeitsantrag und zur Teilnahme an der Abstimmung auf. Seit Januar sind rund 25.000 neue Mitglieder in die Reihen der SPD aufgenommen worden. Die Stimmung in der SPD kann durch die Ankündigung des Rücktritts von Martin Schulz aus dem Amt des Sozialdemokraten-Chefs zugunsten der populären Andrea Nahles, der derzeitigen Vorsitzenden des SPD-Bundestagsclubs, verbessert werden.
Trotz des schlechtesten Wahlergebnisses nach dem Zweiten Weltkrieg und einer deutlich schwächeren Vertretung im Bundestag als die CDU/CSU dürften die Sozialdemokraten in der zukünftigen Regierung mehr Einfluss gewinnen als in der Vorperiode. Dies wird sich in der Tatsache widerspiegeln, dass ihr Kandidat die Position des Finanzministers übernimmt, die sowohl in der europäischen als auch in der Innenpolitik von entscheidender Bedeutung ist. Es ist der SPD auch gelungen, für diese Gruppe wichtige soziale Anforderungen an den Arbeitsmarkt und das Gesundheitswesen in den Koalitionsvertrag aufzunehmen. Die Demokraten stimmten einer solchen Stärkung der SPD zu, um vorgezogene Parlamentswahlen zu verhindern. Dies müsste geschehen, wenn die Koalitionsgespräche scheitern.
Obwohl die europäische Politik ganz oben auf der Agenda der potenziellen Koalition stand, bietet der Text der Vereinbarung kein klares Konzept für EU-Reformen. Der Wortlaut des Textes ist vage und lässt einen großen Interpretationsspielraum. Bei der Ernennung der Leiter des Auswärtigen Amtes und des Finanzministeriums verfügt die SPD jedoch über Instrumente, die es ihr ermöglichen, die zuvor zurückhaltende Haltung Deutschlands zu EU-Reformen zu überprüfen. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron hofft auf eine Einigung mit den Sozialdemokraten und drängt in den letzten Monaten Deutschland, die Integration der Eurozone zu vertiefen. Dennoch wird die Reform der Eurozone schrittweise und nicht in dem Tempo und der Form erfolgen, die der französische Präsident durchsetzt. Sowohl die deutschen Christdemokraten als auch die Sozialdemokraten sind bereit, mehr Mittel für den EU-Haushalt und die Stabilisierung der Eurozone bereitzustellen.